Thursday 10, January 2019

Ausschnitt aus dem Magazin zum Wirtschaftstag 2018

Daniel Beitlich als Gastredner
beim Wirtschaftstag 2018 der Volksbanken Raiffeisenbanken

Keine andere Entwicklung verändert unsere Lebens- und Arbeitswelt derzeit so stark wie die Digitalisierung. Modernste Technik und künstliche Intelligenz revolutionieren in rasantem Tempo Arbeitsprozesse und Geschäftsmodelle, Daten werden zum Kapital der Zukunft, und Meinungsbildung verlagert sich zunehmend in soziale Netzwerke. Über eine Gesellschaft zwischen Faszination und Sorge sprachen Christiane Benner, zweite Vorsitzende der IG Metall, und der Philosoph Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin.

Die Digitalisierung in allen Lebensbereichen und die Herausforderungen der Arbeitswelt 4.0 beschäftigten auch in diesem Jahr die mittelständischen Teilnehmer des Wirtschaftstages in ganz besonderem Maße: kein Wunder, denn die meisten Deutschen verbinden mit diesem Thema nicht nur Chancen und Erleichterungen im Alltag, sondern erwarten auch negative Veränderungen. Entsprechend hoch ist die Verunsicherung, etwa ob etablierte Geschäftsmodelle auch weiterhin funktionieren, ob man mit den geforderten Qualifikationen Schritt halten kann oder ob man gar im Arbeitsprozess bald komplett durch neueste Technik ersetzt wird.

 

„An Zukunftsprognosen, dass 47 Prozent aller Tätigkeiten von Computern ersetzt werden könnten, glaube ich nicht.“

Christiane Benner

 

Arbeit 4.0 – Auswirkungen auf die Gesellschaft

Aus den intensiven Gesprächen mit ihren Mitgliedern weiß Christiane Benner, zweite Vorsitzende der IG Metall, zu berichten, dass in all jenen Unternehmen, die eine klare digitale Strategie kommunizierten und entsprechende Qualifizierungsmöglichkeiten eröffneten, Mitarbeiter auch keine Angst um ihre Zukunft hätten. Eine klare Absage erteilte sie Prognosen, wie jener der Wissenschaftler Carl Benedikt Frey und Michael A. Osborne, die davon ausgehen, dass bis zum Jahr 2030 47 Prozent aller Tätigkeiten von Computern ersetzt werden könnten. Stattdessen gehe es um ein entlastendes, kollaboratives Arbeiten mit Robotik und eine effiziente Chancennutzung durch die Digitalisierung.

„Wie stark sich die Berufswelt verändern wird, ob Arbeitsplätze wegfallen oder durch neue Geschäftsfelder weitere hinzukommen, liegt auch ein Stück weit an uns“, so die ausgebildete Soziologin, die ihre berufliche Karriere bei einem Maschinenbauer begann und die über die Betriebsratsarbeit ihren Weg zur IG Metall fand. Heute konzentriert sie sich in erster Linie darauf, die Gewerkschaft zukunftsfähig auszurichten, und widmet sich intensiv dem Thema „Arbeit der Zukunft“.

Der Irrtum, dass Arbeitsplätze mit dem Auftauchen neuer Technologien entfallen, und die Neigung der Betroffenen, damit verbundene Potenziale zu unterschätzen, begleiten den Menschen nach Aussagen des Philosophen Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin „merkwürdigerweise seit den Weberaufständen durch die gesamte Technikgeschichte. In den Achtzigern etwa hieß es, in der KFZ-Industrie würden keine Leute mehr gebraucht – und heute haben wir in dieser Branche mehr Beschäftigte als früher. Eine Vermutung, die jedes Mal falsch ist, sollte man irgendwann aufgeben“, bekräftigte der Politikwissenschaftler, der sein Forschungsinteresse in den letzten Jahren auch auf die Digitalisierung und die künstliche Intelligenz gerichtet hat. Gesellschaftlich gesehen erwarte die Menschen dennoch ein gewaltiger Veränderungsdruck.

 

„Der Irrtum, dass Arbeitsplätze mit dem Auftauchen neuer Technologien entfallen, begleitet den Menschen merkwürdigerweise seit den Weberaufständen durch die gesamte Technikgeschichte.“

Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin

 

Wie die IG Metall ihre Betriebe bei der Qualifizierung von Arbeitnehmern in Zeiten der Digitalisierung adäquat unterstützt, erläuterte die stellvertretende IG-Metall-Chefin anhand des Beispiels OstWestfalenLippe: „Dort arbeiten wir in dem Projekt ,it’s OWL‘ gemeinsam mit der Landesregierung, Arbeitgebern und Betriebsräten an der Gestaltung von Digitalisierung“, erzählte sie begeistert. Anhand sogenannter Transformationslandkarten würden Bestandsaufnahmen gemacht, welche Bereiche wie durch Digitalisierung betroffen seien, wie das Qualifikationsniveau der Beschäftigten aussehe und welche Weiterentwicklungsmöglichkeiten die Mitarbeiter bräuchten. „Die Erfahrung zeigt: Wenn wir die Beschäftigten von Anfang an in die Gestaltung der Digitalisierung, beispielsweise beim Aufbau neuer Produktionsstraßen, einbeziehen, ist die Akzeptanz groß.“

Dieser Aussage stimmte auch Daniel Beitlich, Geschäftsführer der Revikon GmbH in Gießen, zu. Der Manager, den Udo van Kampen zuvor kurzerhand aus dem Publikum auf die Bühne geholt hatte, beobachtet immer wieder, dass seine Mitarbeiter die Digitalisierung nicht als Bedrohung empfinden, sondern als Bereicherung, die das eigene Aufgabenfeld sogar erweitere. Sein Unternehmen beschäftigt sich mit Projektentwicklungen im Bereich der Revitalisierung ehemaliger Militär- und Industriebrachgelände. „Gerade in einem Old-School-Gewerbe wie dem Bauen faszinieren die neuen Möglichkeiten vom digitalen Geländemodell über die GPS-gesteuerte Raupe bis hin zu 3D-Modellen für Gebäude oder Industrieanlagen“, erzählte er. Angesprochen auf die Zusammenarbeit mit den Kommunen, falle es jedoch auf, dass die Digitalisierung bei der öffentlichen Hand deutlich langsamer voranschreite.

 

„Die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung faszinieren auch in einem Old-School-Gewerbe wie dem Bauen.“

Daniel Beitlich

 

Digitalisierung: Europa braucht einen eigenen Weg

Dass Smart-City-Projekte trotz enormer Ressourcen derzeit nur mühsam vorankommen, konstatierte auch Nida-Rümelin, der unter anderem Kulturstaatsminister im Kabinett Schröder war, mit Bedauern. Zurückzuführen sei dies nicht zuletzt auf kulturelle Widerstände in den Verwaltungen. Insgesamt jedoch, so sein Fazit, herrschten derzeit – auch mit Blick auf das Niveau der Ingenieurwissenschaft und das Potenzial der Hidden Champions – exzellente Bedingungen für die Wirtschaft. Dennoch warnte er davor, hierzulande ähnlich wie im Silicon Valley, in Peking oder Shanghai massiv auf Big-Data-Ökonomie, produktionsferne Unterhaltungs-Apps und Ähnliches zu setzen, und zog dabei einen Zusammenhang zu den starken Produktivitätseinbrüchen in den USA in Zeiten massiver Digitalisierung. Sein Rat: „Wir brauchen unseren ganz eigenen Weg. Digitalisierung muss in die produktiven Kerne. Hier haben Europa und speziell Deutschland ideale Voraussetzungen.“

Quelle: Magazin zum Wirtschaftstag 2018 // Herausgeber: Genossenschaftsverband - Verband der Regionen e.V.

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